Bericht von Herrn Dr. W. Caesar in der Deutschen Apotheker
Zeitung vom 27.11.2003;
DAZ Jhrg. 143, S. 84 und 85, 2003
(eingefügt in diese Web-Site mit freundlicher Genehmigung des
Autors)
Mistelpräparate in der Tumortherapie
Mistelextrakte gehören zu den ältesten Krebstherapeutika,
doch das Urteil über sie schwankt: Während manche Schulmediziner
sie allenfalls als Pseudoplazebo dulden, sind viele Kliniker
überzeugt, dass ihren adjuvanten Effekten ein rationales
Wirkprinzip zugrunde liegt. In der anthroposophischen
Therapierichtung bilden Mistelextrakte gar das Kernstück der
Krebstherapie. Den aktuellen Stand von Grundlagenforschung und
Klinik präsentierten Pharmazeuten und Mediziner verschiedener
Therapierichtungen am 20. bis 22. November auf dem dritten
internationalen Mistel-Symposium in Nonnweiler.
Komplexer Wirkmechanismus
Mistelpräparate zur subkutanen Injektion wurden aufgrund einer
Anregung des Anthroposophen Rudolf Steiner in den 1920er Jahren
entwickelt und in die Tumortherapie eingeführt. Eine systematische
phytochemische und pharmakologisch-toxikologische Erforschung mit
modernen Methoden setzte erst Ende der 70er Jahre ein. Seither sind
sowohl die immunmodulierenden als auch die zytotoxischen Wirkungen
einzelner Inhaltsstoffe bekannt, doch sowohl hinsichtlich ihres
Wirkmechanismus als auch hinsichtlich ihres Synergismus gibt es
laufend neue Erkenntnisse. Auf die Arzneimittelentwicklung hat sich
diese verhältnismäßig junge Grundlagenforschung bisher kaum
ausgewirkt. Auch gibt es bisher noch keine Vergleichsstudien
zwischen verschiedenen Mistelpräparaten.
Klinische Erfolge
Die Anwendung der Mistel in der Tumortherapie ist schon seit
langem nicht mehr auf die anthroposophische Therapierichtung
beschränkt. Daher liegen zahlreiche empirische Berichte vor, die in
der Tendenz einen therapeutischen Nutzen
bestätigen. Als wichtiger klinischer Parameter wurde ein positiver
Einfluss auf die endogene Selbstregulation physiologischer Prozesse
wie zirkadianer Rhythmus der Körpertemperatur, Puls-Atem-Quotient
und Schlafmuster gefunden. Krebspatienten, bei denen die endogene
Selbstregulation noch verhältnismäßig intakt ist, profitieren
demnach am wenigsten von der Misteltherapie. Auch was die harten
Endpunkte einer Krebstherapie betrifft, nämlich die Überlebenszeit
und die Lebensqualität, bringt die Misteltherapie einen messbaren
bis statistisch signifikanten Nutzen. Allerdings genügen die
entsprechenden klinischen Studien häufig nicht den Ansprüchen der
Good Clinical Practice.
Ein Problem für die Durchführung von klinischen randomisierten
Studien mit Mistelpräparaten besteht übrigens darin, dass die
meisten Krebspatienten aufgrund der Ernsthaftigkeit ihrer
Erkrankung nichts dem Zufall überlassen wollen und sich nicht
randomisieren lassen wollen, das heißt, sie wünschen entweder
dezidiert eine Misteltherapie, oder sie lehnen sie ebenso bestimmt
ab.
Keine Induktion der Tumorprogression
Mehrere Referenten hoben hervor, dass eine frühere
experimentelle Untersuchung, die eine Induktion der
Tumorprogression durch Mistelextrakte gefunden hatte, von anderen
Forschungsgruppen nicht reproduziert werden konnte und somit als
widerlegt gelten kann. Auch aus der jahrzehntelangen gut
dokumentierten klinischen Anwendung von Mistelpräparaten lassen
sich keine Anhaltspunkte für eine solche unerwünschte Wirkung
finden. Im Gegenteil zeigen die Erfahrungen übereinstimmend, dass
Mistelpräparate sicher und nebenwirkungsarm sind.
Appell an Bundesausschuss
Abschließend verabschiedeten die Teilnehmer des Mistel-Symposium
eine Erklärung, in der sie konstatieren, dass Mistelpräparate zur
parenteralen Applikation die Voraussetzungen für die Verschreibung
zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erfüllen und somit in die
Ausnahmeliste zu § 34 Sozialgesetzbuch V, die vom Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen erstellt wird und am 1. April 2004 in
Kraft tritt, aufgenommen werden sollen (siehe Kasten).

Vertreter namhafter wissenschaftlicher Fachgesellschaften
formulierten die Nonnweiler Erklärung (von links): Prof. Dr. Volker
Fintelmann, Hamburg, Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Schilcher, München,
Prof Dr. Hans Becker Saarbrücken, Dr. Rainer Scheer
Niefern-Öschelbronn, Prof Dr. Rudolf Bauer Graz, und Prof Dr. Dr.
h. c. mult. Fritz Kemper, Münster.
Nonnweiler Erklärung
Die Teilnehmer des 3. Internationalen Symposiums "Die Mistel in
der Tumortherapie - Grundlagenforschung und Klinik" (20. - 22.
November 2003, Nonnweiler) erklären auf der Grundlage der
vorliegenden wissenschaftlichen Forschungsergebnisse sowie in
Kenntnis der in Nonnweiler vorgetragenen und diskutierten neuen
Resultate, dass eine parenterale Applikation allopathischer und
anthroposophischer Mistelpräparate die Voraussetzungen der
Richtlinie § 92 Abs. 1 - Satz 2 - Nr. 6 erfüllt.
Die versammelten Vertreter aus Medizin und Pharmazie, zugleich
in ethischer Verantwortung im Namen der ihnen anvertrauten und Rat
suchenden kranken Menschen fordern eine Aufnahme von
Mistelpräparaten in die sog. Ausnahmeliste.
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Weitere Berichte aus der Fachpresse
Pharm. Ztg.
149 (2004), 167